Donnerstag, 25. Jänner 2007

Tage wie diese

Ein Kind zu gebären, dafür sind SIE und ER in die Landeshauptstadt gekommen. Doch anders als die Paare die sie dort treffen ist IHRE und SEINE Stimmung gedrückt. Schließlich weiß man dass der neue Erdenbürger mit einem Handicap geboren werden wird. Oft genug hat man mittlerweile erklärt worum es sich handelt und was zu erwarten, zu erhoffen, zu ersehnen ist. Auch dem medizinischen Personal muss man immer wieder erklären warum man hier ist und was zu tun sei. „Was hat den der Dr. xy gesagt dass...?“ oder so ähnlich. Man könnte sich glatt fragen wozu es kiloschwere Krankenakten gibt. Aber vermutlich wäre es völlig unmöglich sich bei jedem Patienten durch diesen Wust an Informationen zu arbeiten und schließlich lässt sich so auch am besten auf den Patienten und seine/ihre Bedürfnisse eingehen.

SIE sind also gekommen um, wie am Tag zuvor vereinbart, die Geburt einleiten zu lassen. Weil IHR Kind einen Herzfehler hat. Um neun Uhr sind SIE gekommen. In gedrückter Stimmung, ängstlich und verzweifelt. Um 11.30 wird das Wehenzäpfchen appliziert, das die Geburt einleiten soll. Stunden später hat SIE heftige Schmerzen die jedoch wieder abklingen. Der Muttermund öffnet sich zaghaft wenige Zentimeter weit. Neben den Schmerzen nagen die Ängste an der Substanz der Gebärenden. Verzweiflung macht sich breit. Angst es nicht zu schaffen. Die Kraft nicht zu haben dieses Kind loszulassen. Es in die Welt zu pressen. Hebammen müssen gute Zuhörer sein. Welch glückliche Fügung dass eine von ihnen selbst ein Kind mit einem Herzfehler hat, das eben hier operiert und mittlerweile acht Jahre und gesund ist.


Es wird Abend und es wird Morgen.
Der zweite Tag.


ER konnte in dem breiten Doppelbett des „Wehenzimmers“ ruhig durchschlafen. Auch SIE hatte ein wenig Schlaf gefunden. Das Ziehen ist abgeklungen. Es wird ein Bändchen eingelegt, das nun abermals die Geburt in Gang bringen soll. Und das tut es auch. Das Ziehen wird stärker. SIE kämpft tapfer, zweifelt, ist verzagt, niedergeschlagen, hoffnungslos. Immer heftiger werden die Schmerzen. Der Muttermund weitet sich kaum . Gegen Mittag glaubt SIE es nicht mehr aushalten zu können. Die Frau Oberarzt oder der Primar sollen kommen! Doch vor zwölf kommen die nicht aus dem OP. Es wird ein Uhr, schließlich kommt die forsche Gynäkologin, deren Körpersprache so wenig Wärme und Anteilnahem ausstrahlt. Gebären tut eben weh, meint sie aber man könne ja eine PDA vornehmen. Eine normale Geburt sei in jedem Fall besser und das CTG gäbe keinen Grund anzunehmen dass es dem Kind schlecht ginge.

Ja das Pochen des CTG. Es ist IHR ständiger Begleiter. Beruhigend und beängstigend zugleich. Im Bauch geht es dem KLEINEN eben am besten, das Unterbewusstsein mutmaßt SIE hemmt den Geburtsfortschritt. Aber das hat die Gynäkologin scheinbar nicht gehört.

Übersiedlung in ein Kreißzimmer. Sie geht Duschen, aufs Klo, bekommt ein frisches Nachthemd. ER bekommt IHR Mittagessen denn SIE muss nüchtern bleiben falls doch ein Kaiserschnitt erforderlich werden sollte. Sonst kann ER schließlich auch nicht viel tun. So hält ER den Kontakt zur Familie, massiert den Rücken, folgt IHR auf IHREM Weg die Gänge auf und ab. Im Kreißzimmer ist kein breites Doppelbett mehr, auf dem ER sich ausstrecken könnte.

Der Turnusärztin ist mit dem Legen eines Venflons ein schwierige Aufgabe gestellt worden, an der sie beim ersten Versuch mit Würde scheitere. Der zweite Versuch gelingt und ER gibt ab nun höllisch darauf Acht, dass der Zugang auch erhalten bleibt. Nachdem SIE einen Liter Ringer „zu trinken“ bekommen hatte kommt der Anästhesist. Ein freundlicher grau melierter Herr der mit stoischer Ruhe die Aufklärung über die Durchführung der PDA und dabei mögliche Komplikationen vorträgt obwohl SIE gerade in tiefster Verzweiflung versinkt und jeden Mut fahren gelassen hat. Schließlich lässt SIE alles mit sich geschehen und wird dafür mit einer deutlichen Entspannung und der Möglichkeit neue Kraft zu schöpfen belohnt. Kraft die SIE bald brauchen wird.

Nachdem das Ärzteteam gewechselt hat inspiziert eine blonde sympathische wirkenden „Bridget Jones“ nicht unähnliche Gynäkologin abermals den Muttermund und ist überrascht, ja ungläubig. Sie bittet – für einen Mann undenkbar – die Hebamme um Bestätigung ihrer Beurteilung. Beide sind sich einig. Der Muttermund ist offen. Die Fruchtblase ist prall gefüllt zu tasten. Sie wird eröffnet. Eine normale Geburt ist in greifbare Nähe gerückt. Die Hebamme motiviert. Sie wird das Baby noch in Händen halten verspricht sie obwohl ihre Schicht um 19 Uhr endet. Ein gewagtes Versprechen wie ER denkt. Doch SIE hat „Kerstin“ ins Herz geschlossen und dies Ansage spornt SIE ungeheuer an. Es sind noch etwa zwei Stunden bis zum Schichtwechsel die Wehen werden stärker. Die Anweisung nicht zu Pressen immer schwieriger zu befolgen.

Es geht dem Ende zu.

„Pressen – presse – Pressen. Sehr gut und bei der nächsten Wehe noch einmal ganz fest zum Buzi atmen und ...“

ER hat schon den Scheitel gesehen und Presst nun natürlich ebenso mit wie die Gynäkologin, die von oben etwas nachhilft....

Und da ist es auch schon. 18.13 Uhr – 33 schmerzhafte, verzweifelte, traurige, aussichts- und oft hoffnungslose Stunden im Krankenhaus sind wie weggewischt. SIE kann kaum fassen es überstanden zu haben, ist tief bewegt. Möchte allen Danken. Allen voran natürlich IHRER „Kerstin“ die IHR beistand und Wort hielt auch wenn sie erst lange nach 19 Uhr tatsächlich außer Dienst gegangen ist. Denn es war viel los an diesem 24. Jänner des Jahres 2007 in den Kreißzimmern der Landeshauptstadt.

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